Die sogenannten ESG-Kriterien sind in den letzten Jahren ein entscheidender Faktor für Investoren geworden, um das nachhaltige Vorgehen eines Unternehmens einzuschätzen. ESG steht dabei für Environment (Umwelt), Social (Gesellschaft) und Governance (Unternehmensführung). Der Druck auf Unternehmen zu demonstrieren, dass sie diesen Anforderungen gerecht werden, wird laut S&P Global 2022 stark ansteigen. Aus den Bemühungen eines Unternehmens, sich mit diesen ESG-Faktoren gewinnbringend auseinanderzusetzen, lässt sich schließlich ein ESG-Score berechnen, der diese Einschätzung erlauben soll – zumindest in der Theorie.
Daten als Flaschenhals
ESG-Scores sollen dazu diesen, Investoren und Kunden die Orientierung an langfristiger Nachhaltigkeit zu demonstrieren und das Risiko von Investitionen zu mindern. Daher steigt der Druck auf Unternehmen, die ESG-Kriterien in ihren Portfolios zu messen, denn ohne Daten kann kein entsprechender Score berechnet werden. Aber wie so oft im Umgang mit Daten, liegt hier eine der größten Herausforderungen für Unternehmen. Oft sind nicht genügend eigene oder externe Daten vorhanden, um einen solchen Score zu berechnen und wenn sie vorhanden sind, dann werden sie nicht angemessen gesammelt und strukturiert, was das langfristige Abschätzen von Risken nur schwer möglich macht. Dazu kommt die Frage der Interpretation der Daten – welche Daten müssen für welchen der drei ESG-Faktoren gesammelt werden? Wie sollen die Daten sowohl innerhalb der Faktoren als auch untereinander gewichtet werden? Wie genau soll die Auswertung der einzelnen Faktoren erfolgen? In der bisherigen Praxis fehlen meist standardisierte Datensets und Messmethoden, was die Kommunikation über Informationen zu den ESG-Faktoren an Investoren erheblich erschwert. Wegen dieser fehlenden Standardisierung werden Daten oft manuell von Analysten gesammelt, statt auf automatisierte Prozesse zurückzugreifen. Dabei bringen das manuelle Sammeln und Analysieren von Daten durch Menschen ein großes Problem mit sich: ein Prozess, der eigentlich einen objektiven Score produzieren soll wird dadurch zu einer subjektiven Einschätzung. Dieses Vorgehen sorgt außerdem noch für eine weitere Komplikation: unterschiedliche Unternehmen oder ESG-Forscher nutzen ihre eigenen, unterschiedlichen Methoden, um ESG-Scores zu berechnen, was eine einheitliche Interpretation noch weiter erschwert. Nicht zuletzt entwickeln sich ESG-Faktoren auch ständig weiter und verändern sich je nach Sektor und Region, was die einheitliche Analyse weiter erschwert.
Künstliche Intelligenz und Daten
Die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Probleme lassen sich in zwei Schritten lösen: Unternehmen müssen die Qualität ihrer Daten verbessern und sie müssen Technologien einsetzen, die einen gewinnbringenden Umgang mit ihren Daten erlauben. Eine der mit Abstand wichtigsten Technologien in diesem Kontext ist künstliche Intelligenz (KI). KI – in Kombination mit Technologien wie maschinellem Lernen (machine learning) und maschineller Sprachverarbeitung (natural language processing) – kann nachgewiesenermaßen nicht nur die Qualität und Nutzbarkeit von Daten erheblich steigern, sondern auch deren Analyse um ein Vielfaches effizienter machen. Mehr zur Verknüpfung von KI, Daten und der menschlichen Komponente finden Sie in einem vorherigen Beitrag unseres Blogs.
Künstliche Intelligenz im ESG-Kontext
Wie bereits beschrieben, ist Standardisierung eines der größten Probleme bei der Analyse von ESG-Daten. Die entsprechenden Daten liegen oft unstrukturiert und über verschiedene Silos verteilt vor, sind unvollständig, nicht integriert, nicht transparent oder statistisch gesehen verrauscht. Werden diese Daten zusätzlich noch manuell von Analysten ausgewertet, die mit jeweils individuellen und subjektiven Einstellungen an diese Auswertung herangehen, kann von repräsentativen oder einheitlichen ESG-Scores kaum die Rede sein. Ungeachtet der Datenqualität erfordert diese Art der Auswertung einen großen Zeitaufwand, was ein regelmäßiges Aktualisieren oder gar eine Darstellung in Echtzeit des ESG-Scores unmöglich macht.
An genau diesem Punkt können KI und maschinelles Lernen gewinnbringend eingesetzt werden. Einer der größten Vorteile dieser Technologien ist es, dass sie sehr große Mengen von (oftmals unstrukturierten) Daten integrieren können. So können eigene Daten mit den Datensätzen zahlloser öffentlicher Unternehmen, aber auch mit Regulatorien, Publikationen, Nachrichten und Studien über einen langen Zeitraum hinweg verglichen werden, um einheitliche Gemeinsamkeiten, Muster, Regeln und schließlich Scores für jeden der drei ESG-Faktoren zu finden und zu generieren. Aufgrund der schieren Menge an Daten, die für ein solches Vorgehen nötig sind, können diese Aufgaben nicht mehr manuell bearbeitet werden, sondern werden von Algorithmen in einem Bruchteil der Zeit ausgewertet und analysiert. So können auch Daten in die Analyse einbezogen werden, die früher allein durch ihre Menge oder Verunreinigung nicht zu gebrauchen waren. Durch Fortschritte in der maschinellen Sprachverarbeitung ist KI mittlerweile auch in der Lage sowohl die interne Kommunikation eines Unternehmens als auch die externen Artikel und Meinungen über Unternehmen zu „Lesen“ und daraus positive oder negative Indikatoren für die ESG-Faktoren abzuleiten. So könnte ein KI-Programm beispielsweise darauf trainiert werden, die Ansprachen eines CEOs zu analysieren, um basierend auf den verwendeten Worten herauszufinden, wie differenziert und intensiv die Person sich mit ESG-relevanten Themen auseinandersetzt und wie diese zum Beispiel an Mitarbeiter:innen kommuniziert werden.
Langfristig wird der Einsatz von KI im ESG-Kontext nicht nur für Einheitlichkeit, sondern auch für Transparenz sorgen, denn objektiv analysierte Daten lügen nicht. So können Investoren letztendlich informierte Entscheidungen treffen, was Risikominimierung und Nachhaltigkeit angeht und so sprichwörtlich die Spreu vom Weizen trennen. Aber um diese langfristige Entwicklung zu ermöglichen, ist ein Austausch und eine Verknüpfung von Daten über das eigene Unternehmen hinaus unumgänglich. Mehr dazu erfahren Sie im nächsten Blogeintrag dieser Reihe.
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Nachhaltigkeit im Unternehmen – Alle können einen Beitrag leisten
KI, Daten Mensch
Entscheidungsprozesse: Mensch VS Maschine
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Quellen:
https://www.spglobal.com/esg/insights/key-esg-trends-in-2022
https://www.spglobal.com/en/research-insights/articles/how-can-ai-help-esg-investing
Alkaraan, F., Albitar, K., Hussainey, K., & Venkatesh, V. G. (2022). Corporate transformation toward Industry 4.0 and financial performance: The influence of environmental, social, and governance (ESG). Technological Forecasting and Social Change, 175, 121423.
Macpherson, M., Gasperini, A., & Bosco, M. (2021). Artificial Intelligence and FinTech Technologies for ESG Data and Analysis. Available at SSRN 3790774.
Titelfoto: Jcomp auf Freepik