Welche Chancen und welche Gefahren ergeben sich aus Open Insurance für die Versicherungs- und Finanzdienstleistungsbranche in der Zukunft? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion, die kürzlich beim jährlichen Mitgliedertreffen des VOTUM-Verbandes Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V. stattgefunden hat. Gemeinsam mit Julius Kretz (ALH-Gruppe), Stefan Butzlaff (tecis Finanzdienstleistungen AG) und Marcus Rex (Hypoport SE) diskutierte mexxon-Geschäftsführer Dietmar Schmidt über das Konzept „Open Insurance“ vor dem Hintergrund zunehmender Tendenzen der Kundenzentrierung einerseits und politischer Regulierungsbestrebungen seitens der EU für den Finanzdienstleistungssektor andererseits.
Relevant sind und bleiben die Fragen: Wie lässt sich Open Insurance im Kontext von Digitalisierung und Datafizierung einordnen? Was ist Open Insurance? Wie gelingt es? Aus unserer Sicht können drei zeitliche Perspektiven Impulse für die Beantwortung dieser Fragen generieren.
Langfristig: Open Data, digitale Ökosysteme und der „Open Customer“
Obgleich es bisher keine allgemeingültige Definition von „Open Insurance“ gibt, so zeigt eine mögliche Präzisierung des Begriffs doch, wie sehr das Thema mit Daten verknüpft ist: Die unternehmensübergreifende Nutzung standardisierter und strukturierter Daten innerhalb digitaler Ökosysteme und Wertschöpfungsketten zur Entwicklung individualisierter, neuer Angebote für Kunden.
Open Insurance steht im Kern für einen verstärkten Datenaustausch zwischen Unternehmen, Verbrauchern und Dritten, auch im Zusammenhang mit dem durch die PSD2 vorangetriebenen Open Banking und – allgemeiner – mit Open Finance. Endkunden werden in Zukunft immer stärker im Mittelpunkt der Vertriebsaktivitäten und der Produktentwicklung stehen und individualisierte Angebote bekommen, sofern sie der Nutzung ihrer Daten zustimmen. Von produktorientierten Pipelinegeschäftsmodellen zu kundenzentrierten Plattformlösungen also.
Dabei wird es nicht mehr nur darauf ankommen, die Daten der eigenen oder branchenspezifischen Customer Journey zu erheben, auszuwerten und zu benutzen, sondern Daten auch aus anderen Lebensbereichen der Verbraucher zu erfassen. Digitale Ökosysteme positionieren sich branchenübergreifend um den Kunden, der etwa bei einem Hauskauf, seinem Energieverbrauch (Stichwort Smart Home), seiner Nutzung von Mobilitätsangeboten und seinen bezogenen Finanzprodukten Daten hinterlässt.
Langfristig kann dieser „Open Customer“ eine immer wichtigere Formel für vertriebliche und prozessuale Wettbewerbsvorteile sein – nicht zuletzt deshalb, weil die EU bereits mit PSD2 Open Banking auf ein neues Level gehoben hat und US-amerikanische und chinesische Plattformunternehmen zunehmend in den Markt für Finanzdienstleistungen eindringen.
Mittelfristig: Open Insurance als Wegbereiter?
Open Insurance existiert als Konzept also bereits in der Unternehmenslandschaft, an vielen Stellen sind dafür erforderliche standardisierte Daten und technische Schnittstellen (APIs) aber noch nicht vorhanden oder erst im Aufbau. Die Free Insurance Data Initiative (FRIDA), ins Leben gerufen von der ALH-Gruppe, Friendsurance und der HDI, hat die Ambition, derartige standardisierte Open-Source-Schnittstellen zu entwickeln, über die auch branchenübergreifende Akteure Versicherungsdaten nutzen können. Open Insurance bedeutet nicht nur Offenheit innerhalb der Versicherungsbranche, sondern auch nach außen. Damit könnte sie auch die politischen Regulierungsbestrebungen der EU hinsichtlich Open Finance beeinflussen, um Standards aus der Wirtschaft heraus zu schaffen und diese nicht nur „Top-down“ verordnet zu bekommen.
Open Insurance kann in dieser Perspektive gewissermaßen als Bindeglied zwischen und Teilbereich von Open Finance und Open Data bzw. dem Open Customer gesehen werden. Sicher scheint jedenfalls, dass auch Versicherer und Banken auf eine stärkere Plattformwirtschaft zusteuern – Open Insurance wird ein wesentlicher Teil davon sein. Nur, wie kann es Versicherern überhaupt gelingen, an Open Insurance und – langfristig gedacht – an den digitalen Ökosystemen der Zukunft teilzunehmen?
Kurzfristig: Datenstrategische Voraussetzungen
Wir werden nicht müde zu betonen, dass Unternehmen Daten- und IT-seitig gut aufgestellt sein müssen, um künftig neue Geschäftsmodelle implementieren zu können. Aus unserer Sicht bedeutet das: Im Rahmen einer Datenstrategie müssen die internen Daten des Unternehmens zusammen mit relevanten externen Daten aufbereitet und integriert werden. Hierzu gilt es, Pflegeprozesse zu implementieren und dafür zu sorgen, dass die angestellten Datenanalysten in einem geeigneten Umfeld das erledigen können, was sie am besten können: Daten analysieren. Durch Datenanalyse können Use Cases im Vertrieb, dem Risikomanagement und den Prozessen unterstützt werden – nicht zuletzt durch die Möglichkeiten, die sich durch Open Insurance hier ergeben werden. Darüber hinaus muss beim Datenschutz erkannt werden, dass es nicht immer darum gehen sollte, was nicht, sondern wie es funktionieren kann – im Einklang mit datenschutzrechtlichen Vorgaben, ohne jedoch Innovation zu verhindern. Zudem muss der Wert der Daten zu einem zentralen Thema gemacht werden; hierbei kommt es auf die Qualität, Quantität und datenschutzrechtliche Verfügbarkeit der Daten an. In Use Cases muss schließlich der konkrete Geschäftsnutzen, den Daten haben sollen, definiert werden.